Zurück zum Feuer, weg vom Bildschirm: Ein Plädoyer für die analoge Wildnispädagogik

Uncategorized Mar 10, 2025

 

Ein kleiner Rückblick …

Lockdown. Plötzlich sind keine Live-Kurse mehr möglich. Und wer weiß schon für wie lange … Das war die ernüchternde Aktualität der Wildnisschule Nawisho zu Beginn der Pandemie. Und auch meine ganz persönliche. Ein-Personen-Unternehmen und so. Und gleichsam legte dieses, vorher nicht denkbare, soziale (wie gesundheitliche) Erdbeben bei mir die notwendige Kreativ-Ader frei: was darf jetzt, im Auge dieser Außergewöhnlichkeit, anders gedacht und auch anders gemacht werden?

Zum Glück hatte ich schon Vorerfahrung zu diesem Zeitpunkt. Durch meine digitalen Aktivitäten wie Youtube-Videos und der zeitweise sogar täglichen Facebook-Lives, hatte ich faktisch keine Berührungsängste mit dieser Form von Medienpräsenz. Und so wurde die Idee der Wilde Kräuter Online Akademie geboren. Zu diesem Zeitpunkt gab es zumindest im deutschsprachigen Natur- und Wildnisvermittlungs-Raum nur sporadische Nutzung der Sozialen Medien und ebensolchem "Teufelszeugs" wie Funnels und Landing Pages oder gar Online-Seminare.

 

 

Die damalige Meinung der Wildnis-Szene war, und das ist tatsächlich nur 5 Jahre her, dass nur LIVE “wahr” ist, das kann man so nicht machen, das ist nicht im Sinne der Mentorinnen- und Mentoren-Linie etc. Warum ich das weiss? Sagen wir mal so, ich hatte reichlich “branchen-einschlägige” Nachrichten in meinem Mail-Postfach nach meinen diversen digitalen Ausflügen. Auch von jenen, die heute einen Gutteil ihres Angebotes online anbieten …

Ich habe also meine Erfahrungen gemacht, in verschiedenen Formen und Ausprägungen. Und, so wurde mir von einem geschätzten Wildnisschulen-Leiter-Kollegen versichert, das hat zu dieser ungewissen Zeit der deutschsprachigen Wildnis-Szene (O-Ton) “den Arsch” gerettet. Denn bald fand der Mut auch Nachahmerinnen und Nachahmer. Dem Samen der Inspiration folgten mannigfaltige Blüten in der Wildnisschulen-Landschaft. Meine praktischen Auseinandersetzungen wurden aber mehr und mehr ambivalent, sodaß ich schlussendlich dazu überging, meine Online-Angebote als (damals bepreiste) Ressource bereitzustellen und NICHT als Seminar, Kurs oder, und da sind wir nun dem zentralen Punkt dieses Blogs schon sehr nahe, als Lehrgang oder gar Ausbildung.

 

"Inwieweit können Online-Formate das Wesentliche der Wildnispädagogik wirklich abbilden und vermitteln? Und wo liegen, ehrlich und aufrichtig reflektiert, die Grenzen der digitalen Wildnispädagogik?"

 

 

Das Wesen der Wildnispädagogik - ein erster Konsens

Um in diesem Rahmen zum eröffneten Thema mit meiner persönlichen Sichtweise einen weiteren Blickwinkel zu generieren, möchte ich nun zusammenfassend ausdrücken, was wohl ein verbreitetes und anerkanntes Verständnis der Wildnispädagogik ist. Ich denke es herrscht Konsens darüber, die Wildnispädagogik als einen ganzheitlichen Bildungsansatz zu verstehen. Einen, der auf tiefer Naturverbindung, persönlicher Entwicklung und Gemeinschaftserleben basiert. 

Die unmittelbare Erfahrung in der Natur mit allen Sinnen und das gemeinsame Erleben in der Gruppe gelten hierbei als zentrale Elemente. Authentische Naturerfahrung und die Entwicklung von verkörpertem Wissen, begünstigt durch zB Coyote Teaching, wird in diesem Zusammenhang als essenziell betrachtet. 

 

“Was spricht für Online-Ausbildungen im wildnispädagogischen Kontext?”

 

 

Pro Online-Wildnispädagogik: Vier augenscheinliche Vorteile 

 

1. Aus Sicht der Erde, der Klimafreundlichkeit und Nachhaltigkeit…

… punktet Online-Wildnispädagogik durch den Wegfall von An- und Abreise der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, sowie des Teams, vor allem beim ökologischen Fussabdruck, weniger Abgase, Feinstaub etc - die Natur atmet auf.

 

2. Online-Wildnispädagogik lebt Inklusion und Barrierefreiheit für alle vor …

… denn nicht jeder hat ein Auto vor der Tür oder das Budget für lange Reisen. Online-Wildnispädagogik bricht hier gezielt Barrieren und macht Naturerfahrung für alle möglich – egal wo sie leben, wie mobil sie sind oder welche Ängste sie bezüglich intensiver Gruppenerfahrungen haben. 

 

3. Wildnispädagogik in Digital kommt mit wirtschaftlichen Vorteilen durch geringere Kursgebühren und mehr Effizienz …

.. wegen vor allem der niedrigeren Overhead-Kosten, wie etwa dem Wegfall von Platz-Miete, Materialbedarf und Verpflegung. Wildnispädagogik muss somit kein Luxus sein. Online-Formate machen sie erschwinglich und zugänglich für viele. Auch aus Veranstaltersicht sind sowohl Skalierbarkeit als auch der geringere Organisations-Aufwand erhebliche Faktoren.

 

4. Artgerechtes Lernen in der Wildnispädagogik findet dort statt, wo man die Menschen erreichen und abholen kann …

… und genau das würde auch der  'Coyote' sagen: 'Geh dorthin, wo die Menschen sind!'. Und heute sind viele Menschen online. Soziale Kanäle und Plattformen der digitalen Kommunikation und des Austausches sind bereits tief in der Alltäglichkeit verankert. Der Zugang zu wildnispädagogischen Inhalten ist somit nur mehr einen Klick entfernt und kann, dem aktuellen Zeitgeist folgend, mit einem Höchstmaß an Flexibilität in punkto Zeit und Ort konsumiert werden.

 

"Fragen wir uns noch oft und bewusst genug die WOFÜRs, WOZUs, WARUMs und WENNs im Umgang mit den digitalen und virtuellen und AI-Angeboten? Können wir noch eine sinnvolle Grenze ziehen oder ein rechtes Maß finden? "

 

 

Kontra Online-Wildnispädagogik: Wo geht das Wesentliche verloren?

 

Und genau hier, die stetig wachsende Anzahl an wildnispädagogischen Online-Angeboten, ja sogar Online-Wildnispädagogik-Ausbildungen bemerkend, taucht meine zentrale Frage auf:

“Wo ist denn die Grenze?”

Gehen wir zurück zu unserem Konsent, der Wildnispädagogik als ganzheitlichen Bildungsansatz versteht, basierend auf den drei Säulen:

 

Tiefer Naturverbindung

Persönlicher Entwicklung

Gemeinschaftserleben

 

Tiefe Naturverbindung – Mehr als Bildschirm-Bilder

  • Riechst du den Waldboden? Schmeckst du die Regentropfen? Spürst du den kühlen Abendwind auf deiner Haut? Hörst du das Flüstern des Windes in den Baumwipfeln? Online – Fehlanzeige! Du kannst ein Video vom Wald anschauen – aber du spürst ihn nicht, atmest ihn nicht, wirst nicht Teil von ihm.
  • Du kannst über das Balancieren auf einem Baumstamm lesen. Du kannst ein Video davon sehen. Aber erst wenn du es selbst versucht hast, wenn deine Muskeln zittern, dein Herz schneller schlägt, dein Körper lernt, dann verstehst du es wirklich. Wildnispädagogik ist auch körperliches Lernen – und das geht nicht online.
  • Die Natur ist kein 5-Minuten-YouTube-Clip. Sie ist ein langsamer Fluss, ein tiefes Meer, ein ganzes Leben. Tiefe Naturverbindung braucht Zeit, Ruhe, Immersion. Die ersten drei Tage in der Wildnis sind wie eine Entgiftungskur für die Seele. Erst dann beruhigt sich der Geist, öffnen sich die Sinne, beginnt die eigentliche Begegnung mit der Natur. Online-Formate sind zu schnell, zu fragmentiert, zu oberflächlich, um diese tiefe Transformation zu ermöglichen.
  • In der Natur bist du Teil eines größeren Ganzen. Du bist eingebettet in ein Netzwerk des Lebens. Du bist nicht getrennt, sondern verbunden. Online bist du immer außerhalb, immer distanziert, immer nur ein Zuschauer. Das Gefühl der Verbundenheit, das Einssein mit der Natur, geht online verloren.

 

 Begegnung und Zuhören – Mehr als Wissen und Technik

  • Wildnispädagogik ist mehr als Wissen. Es ist mehr als Technik. Es ist vor allem Begegnung. Begegnung mit der Natur, Begegnung mit dir selbst, Begegnung mit anderen Menschen in der Natur. Und echte Begegnung braucht Präsenz, Unmittelbarkeit, gemeinsamen Raum. Das ist offline, in der Wildnis, nicht online.
  • Hörst du wirklich zu, oder nur dir selbst? In der Natur lernst du Du-Zuhören – das Flüstern des Windes, das Raunen des Baches, das Schweigen der Steine. Es gibt einen Unterschied zwischen einem “Noise-gecancelten” Online-Meeting im Inneren von vier Betonwänden, und dem ständigen, bewussten und unbewussten Lauschen der lebendigen Geräuschkulisse der Natur während deiner Draussenzeit, bis hin, ja, bis hin zum Gewahrwerden um die große Symphonie der feinen Nuancen.

 

 Soziale Kompetenz und Gemeinschaft – Mehr als Zoom-Meetings

  • Soziale Kompetenz? Gemeinschaftsprozesse? Als Gruppenerfahrung in deiner Wildnis-Zeit bis du in der besten und authentischsten Schule für all das! Du kannst online alle Theorien lernen und Zoom-Meetings abhalten. Aber was Gemeinschaft wirklich bedeutet,  lernst du nicht vor dem Bildschirm. Das lernst du, wenn du mit anderen zusammen hungrig bist, Holz sammelst, am Lagerfeuer kochst, einen Unterschlupf baust, wenn du dich auf andere verlassen und einlassen musst, wenn du deinen Platz findest, den nur du füllen kannst, wenn gemeinsam Hindernisse überwunden werden und verbindende Geschichten entstehen. Diese rohe, authentische Gemeinschaftserfahrung – mittendrin statt nur dabei - die gibt es online nicht.

 

"Ist es also ethisch vertretbar, Menschen online zu Wildnispädagogen und -pädagoginnen auszubilden? Wenn wir ehrlich sind: Nach all den unerbittlichen Kontra-Argumenten drängt sich diese Frage unweigerlich auf."

 

Bleibt Online-Wildnispädagogik ein fauler Kompromiss?

 

Bleibt Online-Wildnispädagogik immer ein fauler Kompromiss, ein blasser Abklatsch und im Grunde wesensleere Abstraktion dessen, was Wildnispädagogik ausmacht? Und geht nicht gerade das verloren, was Coyote Teaching im Sinne von Tom Brown Jr. und Stalking Wolf im Kern ausmacht – die unmittelbare Erfahrung, das Trial-and-Error, das intuitive Handeln? 

Diese Fragen dürfen wir nicht ignorieren. Es geht jetzt darum, ehrliche Perspektiven zuzulassen und daraus ein Potential abzuschätzen, wo das Beste aus beiden Welten verbunden werden kann – die Vorteile der Online-Welt und die unverzichtbare Kraft der direkten, individuellen und vor allem gemeinschaftlichen Naturerfahrung.


Lösungsansätze & Perspektiven: Hybride Modelle als Zukunft der Wildnispädagogik?

 

Online als Ressource und Ergänzung – Freiheit und Offenheit

  • Online-Stärke? Freiheit und Offenheit! Freiheit von Zeit und Raum, Freiheit im Lern-Tempo, Offenheit für diejenigen, welche die Sehnsucht nach der Wildnis spüren, all jene können sich online auf den Weg machen – egal wo sie wohnen, wie mobil sie sind und dazu noch in der Regel auch finanziell zugänglicher.. Online öffnet Türen, die sonst verschlossen blieben.
  • Online ist der “supporting act”, nicht der “Headliner” der Wildnispädagogik! Als Anbieter können wir “Online” nutzen, um das “Publikum” aufzuwärmen, Neugier zu wecken, Grundlagen zu legen. Aber das eigentliche Spektakel findet draußen statt – im Licht des Lagerfeuers, im Duft des Waldes, im Spiel der Elemente und möglichst mit Gemeinschaftsbezug. 
  • Somit kann man “Online” als eines jener Werkzeug verstehen, welches dir grundsätzliches Wissen, gleichgesinnte Kontakte und berstende Inspiration liefern kann, aber sei dir bewusst, dass das eigentliche Werkeln – das Formen, das Gestalten, das Erschaffen – das passiert in der Werkstatt der Wildnis, mit deinen Händen, mit deinen Sinnen, mit deinem Körper, mit deinem Herzen.
  • Zudem sind manche Wildnis-Themen zu speziell, zu nischig, zu klein für große Präsenz-Seminare. Online aber bietet sich die perfekte Plattform für diese besonderen Wissens-Schätze. Hier finden Experten und Interessierte zusammen, teilen und vertiefen Spezialgebiete, ohne großen Aufwand. Online macht somit Nischen-Wissen zugänglich und bereichert definitiv die Wildnispädagogik-Landschaft. 

 

 

Plädoyer für Präsenz-Lehrgänge und Live-Erfahrung – Die Unersetzliche Kraft der Begegnung

  • Schau dir dieses Bild an! Siehst du diese strahlenden Augen? Diese "im Moment" - Gesichter? Diese positive Energie? Das ist Präsenz-Wildnispädagogik! 
  • Das ist das, was Online niemals ersetzen kann – die unmittelbare, lebendige, transformierende Kraft der gemeinsamen Natur- und Wildnis-Erfahrung. Es geht unter die Haut! 
  • Hier wird nicht Wissen übertragen, sondern Leben als Metamorphose wahrnehmbar gemacht. Und zwar zwischen Himmel und Erde und nicht zwischen Bildschirm und Tastatur. Denn davon, von diesem Leben in der virtuellen Bildschirmwelt, haben wir genug, zu viel sogar.
  • Somit sollte eine gangbare Verbindung von Online und Präsenz in der Wildnispädagogik genau darauf Rücksicht nehmen, wenn sie tatsächliche ihre grundlegenden Werte authentisch umsetzen möchte.

 

Hybride Modelle – Die Kluge Balance als Zukunftsperspektive

 

Eine aus meiner Sicht wahrscheinlich mögliche  Zukunft der Wildnispädagogik liegt nicht im blindwütigen Online-Hype, aber auch nicht in der dogmatischen Ablehnung des Digitalen. Sie liegt in der klugen Balance – in der Kunst, das Beste aus beiden Welten zu vereinen. Online für zusätzliche Gadgets im Werkzeugkoffer, Präsenz als eigentliche Werkstatt der bedeutungsvollen Verbindung, Erfahrung und Verwandlung. 

  • Hybride Modelle könnten diese Balance ermöglichen. Wenn wir Online nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung verstehen. Wenn wir Präsenz-Kurse nicht als Option, sondern als Herzstück bewahren. 
  • Wir können mit Fingerspitzengefühl und Neugier neue Wege gehen, experimentieren und dabei unsere Relevanz und Aktualität entwickeln. Es ist aber dabei essentiell, dass wir uns immer wieder fragen: "Ist das immer noch und tatsächlich ausgerichtet an den grundlegenden Werten und Intentionen der Wildnispädagogik? Ist das tatsächlich stimmig? Geht es immer noch mehr um die Sache, oder schon mehr um Ideologie oder gar rein um eine persönliche Wirtschaftlichkeit und Wichtigkeit?" 

 

Dann könnten Hybride Modelle tatsächlich ein Potential des Gelingens haben.

Aber nur dann. 



Und nun zu dir!

 

  • Teile deine Meinung! Was ist dein Standpunkt in der Debatte um Online-Wildnispädagogik? Stimmst du meinen kritischen Anmerkungen zu? Oder siehst du das Potential von Online-Formaten optimistischer?
  • Was sind deine persönlichen Kernwerte in der Wildnispädagogik? Und inwiefern denkst du, dass diese Werte in Online-Formaten wirklich gelebt und vermittelt werden können?
  • Was sind deine persönlichen Erfahrungen mit Online- und Präsenz-Lernen? Wo siehst du die jeweiligen Stärken und Schwächen – speziell im Kontext der Wildnispädagogik oder Naturerfahrung?

 

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